Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023
Bearbeitungsstand 15. Dezember 2023
Wie die Zeit verfliegt:
Während früher nahezu Jahrzehnte zwischen dem Erlass neuer Verwaltungsgrundsätze zu Verrechnungspreisen vergehen konnten, hat das BMF nunmehr mit Datum vom 6. Juni 2023 neue Verwaltungsgrundsätze (VWG) Verrechnungspreise nur knapp zwei Jahren nach den bisherigen VWG Verrechnungspreise 2021 veröffentlicht und diese somit abgelöst.
Die VWG Verrechnungspreise 2023 sind auf alle offenen Fälle anzuwenden.
Zu begrüßen ist, dass zum Zwecke der Eindämmung der Normenflut die Position der Finanzverwaltung zur Funktionsverlagerung in die VWG nunmehr in kürzerer Form einbezogen wurden.
Während viele Positionen unverändert zu den VWG 2021 geblieben sind, haben sich Neuregelungen insbesondere im Bereich der Finanztransaktionen sowie hinsichtlich der Funktionsverlagerungsbesteuerung ergeben, wobei gerade bei Letzteren wesentliche Details bedauerlicherweise nahezu ausschließlich zu Lasten der Steuerpflichtigen verändert wurden. Im Folgenden beschreiben wir ausgewählte Aspekte der neuen VWG Verrechnungspreise 2023:
Funktionsverlagerung
Im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen sind die Regelungen in den VWG VP 2023 ab dem 1.1.2022 anzuwenden. Für Funktionsverlagerungen, die bis zum 31.12.2021 verwirklicht wurden, bleibt es hingegen bei der Anwendung der VWG Funktionsverlagerung.
Die Finanzverwaltung geht weitgehend unverändert davon aus, dass eine Funktion entweder beim verlagernden oder beim übernehmenden Unternehmen eine zweckgerichtete, abgrenzbare Tätigkeit unter Nutzung bestimmter Wirtschaftsgüter, immateriellen Werten oder sonstigen Vorteilen zur Erzielung von Ergebnisbeiträgen darstellt.
Kritisch anzumerken ist hierbei jedoch bereits, dass basierend auf dem Fremdvergleichsgrundsatz und dem Gesetzestext die Funktion als Gegenstand der Funktionsverlagerung bereits beim verlagernden Unternehmen bestanden haben muss.
Wenig überraschend sollen Personalentsendungen unverändert grundsätzlich keine Funktionsverlagerung begründen (Rn. 3.95).
Als in der Praxis kritisch könnte sich erweisen, dass Personalentsendungen jedoch eine Funktionsverlagerung begründen sollen, wenn die entsandten Mitarbeiter ihren bisherigen Zuständigkeitsbereich quasi mitnehmen und im aufnehmenden Unternehmen ihre bisherige Tätigkeit ausüben. Gerade dies dürfte in praxi der Hauptbeweggrund von Mitarbeiterentsendungen sein. Diese Sichtweise war jedoch bereits so in den VWG FVerl geäußert worden.
In Rn. 3.89 benennt die Finanzverwaltung ebenso quasi unverändert eine Reihe beispielhafter Funktionen, die grundsätzlich nicht zu beanstanden sind.
Nicht zu folgen ist der Finanzverwaltung in ihren neuen Ausführungen, dass auch die Ausübung der Kontrolle von Risiken sowie die DEMPE-Funktionen als Funktionen iSd § 1 Abs. 3b AStG anzusehen seien. Hier ist es grundsätzlich zweifelhaft und zwingend im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei den DEMPE Funktionen tatsächlich um einen organischen Teil des Unternehmens handelt.
Die vielleicht wesentlichste Verschärfung insbesondere bei kleineren Fällen kann sich für Steuerpflichtige dahingehend ergeben, dass die sog. Bagatellgrenze in VWG Verrechnungspreisen 2023 nun vollständig und ersatzlos gestrichen wurde. In der Vergangenheit vertrat die Finanzverwaltung bisher im Fall von Funktionsverdoppelungen die Ansicht, dass bei einer nur geringfügigen Einschränkung der betreffenden Funktion (Umsatzrückgang des übertragenden Unternehmens von weniger als 1 Mio. EUR) keine Funktionsverlagerung vorliegen solle.
Neu ist, dass nach Sicht der Finanzverwaltung nunmehr Substitutionsfälle eine Funktionsverlagerung auslösen sollen. Dies sind Fälle, in denen das inländische Unternehmen eine Funktion durch eine andere ersetzt. Nach wörtlicher Auslegung der VWG Verrechnungspreise 2023 (Rn. 3.99) soll dies unabhängig davon sein, ob beim inländischen Unternehmen Personal abgebaut wird oder ob durch die neue Funktion sogar ein höherer Umsatz als bisher beim „verlagerndem“ Unternehmen erzielt wird.
All dies wird wenig verwunderlich auf Beraterseite bereits heftig kritisiert, da es sich u.E. nicht mehr unter den Begriff der Funktionsverlagerung subsumieren lässt, nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang steht und auch nicht mit dem internationalen Verständnis im zu vereinen ist.
In keinster Weise neu, aber dennoch unverändert hochgradig problematisch ist die Atomisierung des Funktionsbegriffs durch die Finanzverwaltung basierend auf ihrem tätigkeits- und objektbezogenen Verständnis einer Funktion.
Interessant insbesondere im Kontext einer Funktionsverlagerung sind die neuen Ausführungen in den VWG Verrechnungspreise 2023 zur Preisanpassungsklausel.
Unter dem Vorbehalt mehrerer Ausnahmen regelt § 1a AStG eine ex-post Preisanpassung bei der Übertragung immaterieller Werte entsprechend derer es bei einer erheblichen Wertabweichung von mehr als 20 % im achten Jahr nach Geschäftsabschluss zu einer gesetzlich angeordneten „Preisanpassung“ kommt, also schlichthin zu einer steuererhöhenden Einkünftekorrektur.
Neu sind die sehr zu begrüßenden Ausführungen in den VWG Verrechnungspreise 2023 wonach in Fällen, in denen eine sachgerechte Preisanpassungsklausel vertraglich vereinbart wurde, die Anwendung von § 1a AStG ausgeschlossen ist (Rn. 3.136).
Bedauerlich bleibt, dass auch den VWG Verrechnungspreise 2023 keine Ausführungen entnommen werden können, wie eine solche Preisanpassungsklausel vertraglich auszugestalten ist, damit sie anerkannt wird.
Neue Ausführungen finden sich in den VWG Verrechnungspreise 2023 zur Bestimmung des Transferpakets, das als Folge der Funktionsverlagerung zu versteuern ist. Mangels vorliegender Fremdvergleichswerte gelangt regelmäßig der hypothetische Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 S. 7 AStG zur Anwendung.
Auf Basis von kapitalwertorientierten Methoden ist der zukünftig zu erwartende finanzielle Nutzen aus dem Transferpaket maßgeblich für die Bestimmung des Verrechnungspreises.
Diesbezüglich wurde der bislang in den VWG FVerl enthaltene Verweis auf die IDW-Standards gestrichen. Selbstverständlich können und werden die IDW Standards auch zukünftig in der Praxis regelmäßig zur Anwendung gelangen. Der Wegfall des expliziten Verweises fördert jedoch die Anwendung von Best-practice Ansätzen, wie sie insbesondere in der Unternehmensbewertungspraxis zur Anwendung gelangen.
Diese erhöhte Flexibilität ist zu begrüßen.
Finanzierungsbeziehungen
Die VWG Verrechnungspreise 2023 enthalten nunmehr die explizite Aussage, dass nicht nur besicherte, sondern auch unbesicherte Darlehen fremdüblich sein können (Rn. 3.128).
Die Finanzverwaltung hatte bislang eine Darlehensbesicherung als grundsätzlich fremdüblich betrachtet. Hingegen wurde eine Nichtbesicherung nur im Einzelfall und bei Vorliegen besonderer und vom Steuerpflichtigen nachzuweisender Umstände als mit dem Verhalten fremder Dritter vereinbar betrachtet.
Mit Allgemeinplätzen wie der Aussage, dass „sowohl eine Besicherung als auch eine Nichtbesicherung von Darlehen kann fremdüblich sein“ liefern die VWG Verrechnungspreise 2023 jedoch wenig konkrete Anhaltspunkte wie der Fremdvergleichsgrundsatz konkret gewahrt werden kann.
Interessant und hilfreich verbleibt hierbei der Verweis auf die Rechtsprechung des BFH v. 13.1.2022, den auch die Finanzverwaltung teilt.
Hinsichtlich des Konzernrückhalts hatte der BFH seine Position oftmals variiert und nahezu alle denkbaren Positionen nacheinander vertreten. Nach der Interpretation des Konzernrückhalts als faktische Sicherheit hatte der BFH in der Folge den Konzernrückhalts als bloßen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung eingeordnet, der keine werthaltige Besicherung darstellen soll.
Zuletzt hatte der BFH in Abhängigkeit von den zu prüfenden Umständen des Einzelfalls eine gewisse Rolle der passiven Konzernwirkungen anerkannt in seinen Zinsurteilen v. 18.5.2021.
Auch die Finanzverwaltung hält an dieser Einschätzung in den VWG Verrechnungspreise 2023 fest, dass der Konzernrückhalt nicht generell, aber in Abhängigkeit vom konkreten Einzelfall im Rahmen der Bonitätsprüfung des Darlehensnehmers für die Zinsbestimmung zu berücksichtigen sein kann.
Explizite Ausführungen sind in den VWG Verrechnungspreise 2023 zu mit der Finanzierungsbeziehung zusammenhängenden Kontrollfunktion zu finden.
Es ist denkbar, dass eine Konzerngesellschaft ein Darlehen gewährt, jedoch eine andere Konzerngesellschaft die Kontrollfunktion hinsichtlich dieser Darlehensgewährung ausübt.
Hier ist zu prüfen, ob im Hinblick auf die andere inländische Konzerngesellschaft dem Grunde nach eine weitere Transaktion vorliegt und wie diese zu vergüten wäre.